Online-Beteiligung ist gut, gute Online-Beteiligung noch besser.
Medientipps: Demokratie und Bürgerbeteiligung im Netz
Ein Beitrag von Anni Schlumberger
Seit vielen Jahren weisen wir von Polit@ktiv in Vorträgen, Diskussion und Gesprächen auf die wachsende Bedeutung und den Mehrwert von Online-Beteiligung hin. In unseren Archiven finden sich zahlreiche Präsentationen mit Titeln wie "Warum (auch) online beteiligen?"o.ä., die bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten zum Einsatz kamen.
Anfangs wurden wir vielfach belächelt: Warum soll man BürgerInnen online beteiligen, wenn es doch auch analog geht?, fragten die einen. Online sei ja schön und gut, aber die "wahre" Beteiligung fände doch weiterhin vor Ort statt, meinten andere.
Einige Gemeinden hatten schon früh den Mut und machten sich mit uns auf den Weg: Blaubeuren zum Beispiel, als es um die Innenentwicklung der Teilorte ging oder die Stadt Metzingen, die gemeinsam mit ihren Bürgerinnen und Bürgern erörterte, ob die bestehenden Bäder saniert oder an anderer Stelle neu gebaut werden sollten. Diese und andere Beispiele zeigten: Online-Beteiligung führt nicht nur dazu, dass mehr Menschen sich einbringen, sondern erhöht die Qualität des gesamten Prozesses, denn:
- Online-Beteiligung erweitert das Beteiligungsfenster: Statt einmaligem Beteiligen im Rahmen einer Bürgerversammlung oder eines Workshops haben BürgerInnen die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum Ideen und Argumente einzubringen.
- Online-Beteiligung stärkt die Transparenz und das Vertrauen: Alle Informationen zum Gegenstand und Prozess sind, unabhängig von Zeit und Raum, ständig verfügbar und können jederzeit ergänzt werden.
- Online-Beteiligung erschließt neue Zielgruppen: Nicht jeder, der möchte, kann sich vor Ort einbringen. Berufliche, gesundheitliche oder familiäre Gründe hindern viele, an Veranstaltungen teilzunehmen. – Und nicht jeder, der etwas zu sagen hat, möchte dies vor versammelter Runde tun.
- Online-Beteiligung fördert die fundierte Meinungsbildung: umfangreiche Information und die Möglichkeit, Argumente auszutauschen, sind unerlässlich, um sich eine Meinung jenseits von Vorurteilen bilden zu können.
Vor dem Hintergrund, dass aufgrund des Corona-Virus viele Veranstaltungen aktuell nicht stattfinden können, erlebt die Online-Beteiligung vielerorts hohe Aufmerksamkeit. Der Einsatz diverser Tools wird offensiv beworben und plötzlich zählen auch vormalige Kritiker und Zögerer zu den größten Online-Beteiligungsverfechter. Dies ist an sich eine begrüßenswerte Entwicklung. Aber:
Die Bereitstellung von Online-Tools allein reicht nicht aus!
Online-Beteiligung ist nicht per se "gut" oder "schlecht", sondern muss verschiedenen Qualitätskriterien genügen. Es kommt demnach nicht darauf an, möglichst viele Tools zu verwenden, sondern diese methodisch sinnvoll und passend einzusetzen. Dabei gelten auch hier – wie bei "traditionellen" Beteiligungsformaten – ähnliche Fragen: Welche Ziele wollen wir erreichen? Wie aktivieren wir BürgerInnen und Bürger, sich (möglichst mehrfach) einzubringen? Wie erreichen wir möglichst viele Zielgruppen? Was passiert mit den Beiträgen? Wie werden diese dokumentiert und so verarbeitet, dass sie am Ende in den weiterführenden Prozess einfließen können? u.v.m.
Wir haben bei unseren Prozessen immer wieder verschiedene Moderationsmethoden ausprobiert, manche verworfen und andere verfeinert. Die Extraktion der Kernaussagen oder die Methode der aktivierenden Moderation sind hier als Beispiele zu nennen, die sich bei vielen Prozessen bewährt haben. Höherschwellige Angebote (z.B. Forum und interaktive Karte) wurden mit niederschwelligeren Angeboten (z.B. "Pinnwand" und Fragebogen) ergänzt. Auch der Stimmenfang per Video oder die Beteiligung über Messenger-Dienste wie WhatsApp haben dazu geführt, dass das Interesse am Mitmachen gestiegen ist. Um auch weniger internet-affine BürgerInnen zu erreichen, greifen wir gern auf Postkarten und Briefe zurück. Wichtig ist, dass alle Beiträge an einer zentralen Stelle gesammelt und öffentlich dargestellt werden. So geht kein Beitrag verloren und die Transparenz bleibt gewahrt. Entscheidend ist aber auch, dass Beiträge weiterverarbeitet werden – verschlagwortet und extrahiert – so dass sie ihre Wirkungskraft langfristig beibehalten.
Die genannten Methoden betreffen vor allem asynchrone Prozesse, d.h. solche, bei denen die Beteiligung über einen längeren Zeitraum gestreckt wird. Hingegen zielen der Einsatz von Web-Conference-Tools, wie Zoom, Jit.si, MS Teams, o.ä. – gern in Kombination mit diversen Abfragetools – auf die Verlagerung von Veranstaltungen ins Netz ab. Hier liegt der Augenmerkt auf Synchronität und damit auf der Frage: Wie können Dialogveranstaltungen mit Groß- und Kleingruppen auch ohne Präsenz vor Ort stattfinden? Auch hier sind passende Moderationsmethoden essentiell, um die Qualität nachhaltig zu sichern und einen Mehrwert zu schaffen. Spannend wird es, beide Aspekte noch stärker miteinander zu verknüpfen. Denn auch hier gilt: Beiträge dürfen nach Ende einer Web-Konferenz nicht verschwinden, sondern müssen in den weiteren Prozess einfließen!
Wir freuen uns, dass wir in Zukunft weniger Überzeugungsarbeit leisten müssen und uns viel mehr auf die Entwicklung kreativer und innovativer Methoden und Konzepte konzentrieren können. Wir sind überzeugt, dass wir alle in vergleichsweise kurzer Zeit vielfältige Erfahrungen sammeln werden. Es wäre toll, diese auch miteinander auszutauschen – so dass sich nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität von Beteiligungsprozessen insgesamt erhöht. Dann würden am Ende alle gewinnen.